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Kosten für Olympia in Tokio
"Diese Spiele finden nur noch wegen des Sponsoringgeldes statt"

Für die Organisatoren steht eine Absage der Olympischen Spiele trotz Corona-Pandemie nicht zur Debatte. Dabei spielt auch die Finanzierung eine entscheidende Rolle. Die Sponsorengelder seien der einzige Grund, warum überhaupt noch über die Spiele gesprochen werde, sagt der Finanzexperte Michael Naraine.

Von Felix Lill | 15.05.2021
Olympische Flagge in Japan
Immer mehr in Japan fragen sich: Könnte das Geld klüger ausgegeben werden, wenn man Olympia noch schnell absagt? (dpa/picture alliance/picturedesk)
Was das nicht alles kostet.
"Tokyo 2020", so behaupteten die Organisatoren lange Zeit, werde die Steuerzahler in Japan nichts kosten. Als Japans Hauptstadt 2013 das Austragungsrecht für die Sommerspiele erhielt, hatten die Bewerber mit 6,6 Milliarden US-Dollar kalkuliert. Durch öffentliche Mittel sollten nur Investitionskosten wie jene für Stadien finanziert werden. Ein Großteil aber würde über private Sponsoren laufen. Viele in Japan glaubten daran.
Bis sich, wie so oft bei Olympischen Spielen, herausstellte, dass es irgendwie doch teurer wird. Drei Jahre später, als das offizielle Budget schon doppelt so hoch lag, schätzte eine Bugdetkomission die Kosten auf bis zu 30 Milliarden. Fast fünfmal so viel wie zunächst gedacht. Die Organisatoren hatten dabei nicht nur die Kosten der größten Sportveranstaltung der Welt heruntergerechnet – gleichzeitig hatten sie die zu erwartenden Erträge aufgebläht.

Schon vor der Corona-Pandemie ein klares Verlustgeschäft

Zu diesem Schluss kommt Katsuhiro Miyamoto, Ökonomieprofessor an der Kansai Universität in Osaka: "Ich würde sagen, Japan hat mit den Daten etwas übertrieben. Als sich Tokio für die Spiele bewarb, war die öffentliche Skepsis im Land groß, man hielt das für Geldverschwendung. Vor allem eineinhalb Jahre nach dem Atomdesaster in Fukushima. Mit der Schätzung zu den ökonomischen Effekten wollte man wohl Zustimmung gewinnen. Im Gegensatz zu den Spielen davor in London, Peking und Rio hat Tokio auch Effekte miteinbezogen, die mit Olympia eigentlich nichts zu tun haben. Zum Beispiel die Etablierung von 5G-Internet, Automatisierung und so weiter. So kam man auf Effekte von ungefähr 32 Milliarden US-Dollar. Den direkten Effekt schätze ich auf ein Viertel davon."
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In Japan, wo diesen Sommer die Olympischen Spiele stattfinden sollen, steigen die Infektionszahlen seit Wochen verstärkt an. Die Organisatoren betonen, Sicherheit habe oberste Priorität.
Die Spiele von Tokio wären demnach schon ohne die Corona-Pandemie ein klares Verlustgeschäft geworden. Seit dann Ende März 2020 die Verschiebung um ein Jahr beschlossen wurde, kommen nun wohl 2,8 Milliarden Zusatzkosten hinzu: Denn Messegelände und Stadien müssen ein weiteres Jahr reserviert werden; die Wohnungskäufer, die eigentlich schon längst nach den Spielen ins Olympische Dorf umziehen wollten, erwarten Entschädigung für die Verspätung.
Und immer mehr im Land fragen sich: wäre das Geld gerade jetzt, wo das Gesundheitssystem im Land an seine Grenzen gestoßen ist und Tausende am Coronavirus sterben, nicht anderswo besser investiert? Könnte das Geld klüger ausgegeben werden, wenn man Olympia noch schnell absagte?
Der Nutzen einer Absage hänge von mehreren Fragen ab, sagt Franz Waldenberger. Der Ökonom ist Leiter des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio und hat zu Olympia auch einige akademische Aufsätze geschrieben: "Es sind ja bestimmte Zusagen. Es sind zum Teil auch Sachleistungen vielleicht. Das Entscheidende ist: sind die Unternehmen mit diesen Versprechen in Vorleistung getreten? Wenn sie in Vorleistung getreten sind, dann sind sie jetzt in einer schlechten Situation. Wenn man nicht in Vorleistung gegangen ist, ja, dann hat man die Kosten ja auch noch nicht. Dann hätte man jetzt im Grunde Mittel zur Verfügung, um andere Dinge zu machen."
Was Waldenberger mit Bezug auf Unternehmenssponsoren sagt, ist auch eine allgemeine Frage: Wie viel des Geldes, das die Spiele von Tokio kosten, wurde schon ausgegeben? Beim Tokioter Organisationskomitee gibt es hierzu keine Informationen. Auch auf die Anfrage, ob Sponsoren ihre Zahlungsverpflichtungen schon erfüllt haben, wird nicht eingegangen.

Nur geringfügige Einsparungen, wenn die Spiele jetzt noch ausfallen?

Michael Naraine, Professor für Betriebswirtschaft an der kanadischen Brock University, forscht zu Finanzierungsfragen im Sportgeschäft. Sponsoringverträge, sagt er, sehen in der Regel so aus: "Die Top-Sponsoren, die also nicht die Veranstalter unterstützen, sondern das IOC, zahlen ihre Zuwendungen jedes Jahr. Ein Teil davon wird jährlich an das lokale Organisationskomitee weitergeleitet, weil es dort laufende Ausgaben gibt. Was die Organisatoren aber mit ihren eigenen nationalen Sponsoren vereinbaren, ist unterschiedlich. Da gibt es häufig auch Einmalzahlungen. Was man typischerweise sieht ist, dass ein Großteil gleich am Anfang überwiesen wird. Ich würde schätzen, dass mindestens die Hälfte der vereinbarten Summe gleich bei der Unterzeichnung gezahlt wurde und der Rest dann in Raten kommt."
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Weil damit ein Großteil des Geldes schon ausgegeben sein dürfte, verspricht sich auch Naraine nur geringfügige Einsparungen, wenn die Spiele jetzt noch ausfielen: "Ganz ehrlich gesagt: Diese Spiele finden nur noch wegen des Sponsoringgeldes statt. Das Geld ist der einzige Grund, warum überhaupt noch über die Spiele gesprochen wird. Aus Perspektive der öffentlichen Gesundheit sollten sie nicht stattfinden. Hinzu kommt, dass im Fall einer Absage die Versicherungskosten für alle zukünftigen Sportgroßveranstaltungen in die Höhe schießen würden. Das ist ein weiterer Grund, warum sie nicht abgesagt werden."
Zynischerweise würden also die Kosten zukünftiger Spiele dadurch geringgehalten werden, dass "Tokyo 2020" wie geplant stattfindet. Und es mag ein schwacher Trost sein, aber indem ein Großteil des vielen Geldes, was die Spiele nun kosten, wohl schon ausgegeben wurde, gibt es jetzt eben nicht mehr viel einzusparen. Zumindest finanziell nicht.