Carl-Schmitt-Lesegruppe
April 2024 - Februar 2025
Im Rahmen einer zweiwöchentlichen Lesegruppe beschäftigt sich das Wissenslabor mit der globalen Rezeption des deutschen Verfassungstheoretikers Carl Schmitt (1888-1985). Angesichts seiner prominenten Stellung in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft („Kronjurist des Dritten Reiches“) ist seine Wertschätzung in der Neuen Rechten nachvollziehbar. Doch bemerkenswerterweise stößt sein Denken auch unter linken und progressiven Denkern der Gegenwart auf Interesse, ob in klarer Abgrenzung (Jürgen Habermas) oder in punktueller Aneignung (Chantal Mouffe, Giorgio Agamben). Dies gilt auch für prominente post- und dekoloniale Theoretiker (Achille Mbembe, Walter Mignolo), denen in den Regionalwissenschaften besondere Aufmerksam zuteil wird.
Indem Schmitt die Grenze zwischen Recht und Politik anhand des Ausnahmezustands, des Freund/Feind-Schemas und der Großraumtheorie auslotet, bietet er zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine Kritik der liberalen Demokratie. Die Lesegruppe hinterfragt nicht nur die Rezeption und Anwendbarkeit seiner Konzepte, sondern weist auf epistemische Risiken hin, die durch die Vereinnahmung und Normalisierung von Schmitts Theorien in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte entstehen. Diese Resonanz in den Wissensinfrastrukturen der Gegenwart, so die Ausgangshypothese, birgt besondere Herausforderungen für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Japan.
Im Mittelpunkt des Austauschs stehen Diskussionen darüber, wie sich die von Schmitt entwickelten Denkfiguren auf Ordnungsmodelle in Asien und Europa auswirken. Dabei wird besonders die Rolle von Großmächten wie China und Russland beleuchtet, wo Schmitts Konzepte zur Legitimation ihrer geopolitischen Ansprüche genutzt werden. Die Lesegruppe agiert als interdisziplinäres Forum, das eine Brücke zwischen Japanologie, Politikwissenschaft und Ideengeschichte schlägt.
Das Wissenslabor trägt auf diese Weise zu einem tieferen Verständnis der gegenwärtigen Umbrüche der globalen Ordnung bei, die mit dem Begriff „Zeitenwende“ nur unzureichend eingefangen werden. Indem sie Probleme in der Rezeption von Schmitts Ideen identifizieren und ihre Implikationen weiterdenken, entwickeln die TeilnehmerInnen alternative Perspektiven auf Macht, Souveränität und Global Governance und reflektieren die Herausforderungen, die durch diese Theorien für die Wissensproduktion entstehen.