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Deutsches Institut für Japanstudien
DIJ Newsletter 71, Spring 2023

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    DIJ Newsletter 71, Spring 2023

    DIJ Newsletter 71, Spring 2023

    DIJ Newsletter 71 (full version)

    Artikel

    Heckel, Markus
    Aktueller Begriff temaedori

    Die Reduzierung von Lebensmittelverlusten und -abfällen gehört zu den von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 erklärten 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Sie ist Teil des 12. Ziels, welches sich mit „verantwortungsvollen Konsum und Produktion“ beschäftigt.

    Nach Angaben des japanischen Umweltministeriums beliefen sich die Lebensmittelverluste in Japan im Jahr 2020 auf 5,22 Millionen Tonnen. Diese verteilen sich zu etwa gleichen Teilen auf Unternehmen (2,75 Millionen Tonnen) und private Haushalte (2,47 Millionen Tonnen). Um diese Zahl zu reduzieren, hat die japanische Regierung die Verringerung der Lebensmittelverluste und -abfälle zu einer zentralen Herausforderung erklärt und Initiativen für eine kohlenstoffneutrale Wirtschaft ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Lebensmittelverluste von 9,8 Millionen Tonnen pro Jahr (aus dem Jahr 2000) bis 2030 zu halbieren (World Economic Forum, What are Japan’s top 3 ‚words of the year‘ for 2022? 23. Dezember 2022).

    Eine der jüngsten Initiativen zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung ist temaedori てまえどり: „Nimm (toru) von vorne (temae)“. Temaedori wurde im Juni 2021 gemeinsam vom Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, dem Umweltministerium, der Agentur für Verbraucherangelegenheiten und dem japanischen Franchiseverband eingeführt (Greengrowers, Measures to Reduce Food Waste, 4. Januar 2022). Die Initiative soll Kunden dazu ermutigen, Produkte aus der ersten Reihe der Regale in Supermärkten zu kaufen, anstatt sie aus den hinteren Reihen zu nehmen. Viele japanische Verbraucher neigen dazu, Produkte aus den hinteren Regalreihen zu nehmen, in denen die Supermärkte in der Regel die frischesten Produkte mit dem längsten Verfallsdatum platzieren. Dies hat zur Folge, dass Produkte in der vorderen Reihe mit kürzerem Verfallsdatum oft im Abfall landen (JCCU, ‚TEMAEDORI‘ was selected as one of the top 10 words in Japan’s 2022 New Words and Buzzwords Awards, 20. Dezember 2022).

    Ein Schild in einem Tokioter Supermarket fordert Kunden auf, Produkte aus der vorderen Reihe zu nehmen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, sofern sie beabsichtigen, das Produkt sofort zu konsumieren  © Torsten Weber

    Temaedori ist eine konkrete Maßnahme im Rahmen des „Gesetzes zur Förderung von Lebensmittelverlusten und Abfallvermeidung“, das bereits im Oktober 2019 in Kraft getreten ist. Das Gesetz will Anreize für Einrichtungen aller Ebenen, einschließlich nationaler und lokaler Regierungen, Unternehmen und Verbraucher, schaffen, um Lebensmittelverluste zu reduzieren. Temaedori ist dabei ein Beispiel für den gemeinsamen Versuch der nationalen und lokalen Regierungen, Unternehmen und Verbraucher aufzuklären und zu sensibilisieren.

    Um die Verbraucher davon abzuhalten, Produkte aus den hinteren Regalen zu nehmen, arbeiten der japanische Franchiseverband, die Agentur für Verbraucherangelegenheiten und das Umweltministerium zusammen und verbreiten Aufklärungsmaterial für den Groß- und Einzelhandel sowie den Konsumenten. Politiker wie Nomura Tetsuro, seit 2022 Minister für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, haben die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, an der Initiative Temaedori teilzunehmen und sie zusammen mit dem damit verbundenen Konzept Tabekiri  (alles aufessen, ohne Lebensmittel zu verschwenden) zu unterstützen (World Economic Forum, What are Japan’s top 3 ‚words of the year‘ for 2022? 23. Dezember 2022).

    Temaedori wurde so populär, dass der Begriff im Rahmen des „U-can New Words and Buzzwords Award“ im Jahr 2022 zu einem der zehn wichtigsten Wörter gewählt wurde. Der „U-can New Words and Buzzwords Award“ wird seit 1984 jährlich von dem japanischen Verlag Jiyu Kokumin Sha verliehen. Er zeichnet neu verwendete Wörter und Schlagwörter aus, die in Japan in der Bevölkerung und in den Medien populär geworden sind (JCCU, ‚TEMAEDORI‘ was selected as one of the top 10 words in Japan’s 2022 New Words and Buzzwords Awards, 20. Dezember 2022).

    Tatsächlich beteiligen sich viele Präfekturen und Städte an der Kampagne. Die Präfektur Yamagata hat temaedori in ihre Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen. Sie hat sogar ein Maskottchen namens „Zero Waste Boy“ (gomi zero kun ごみゼロくん) entwickelt und jedes Jahr am 30. Mai einen „Zero Waste Day“ (gomi zero no hi ごみゼロの日) eingeführt. Viele Unternehmen unterstützen diese temaedori-Initiative der Präfektur (Yamagata Prefecture Government, Sugu taberu toki wa shohindana no temae kara toru ‚temaedori‘ kyanpen jisshichu! 28. Dezember 2022). Ein weiteres Beispiel ist die Stadt Kodaira in Tokio, die im Oktober, dem so genannten „Monat der Reduzierung von Lebensmittelverlusten“ nutzt, um das Verständnis und Bewusstsein für die Notwendigkeit der Reduzierung von Lebensmittelabfällen zu erhöhen. Hierbei arbeitet die Stadt Kodaira mit Unternehmen wie Seven-Eleven Japan zusammen, um die Kunden aktiv zu einem umweltfreundlichen Konsumverhalten zu bewegen (Kodaira City, Reducing food loss by „Tezendori“, 1. November 2022).

    Markus Heckel ist Leiter des DIJ-Forschungsfeldes Nachhaltigkeit und Resilienz.