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Deutsches Institut für Japanstudien

Veranstaltungsort

DIJ Tokyo


Zugang

DIJ Cultural Studies Workshop:

Die Rückkehr zur "Asiatischen Spiritualität"

21. Februar 1997




Das Bedürfnis nach Heilung


Kurz vor dem Ende des Jahrhunderts fühlt die japanische Nation sich krank. Das Schwächegefühl ist geistiger Natur und sitzt offensichtlich tief. Zivilisationsmüdigkeit, Unbehagen in der Leistungsgesellschaft ist allenthalben auszumachen. Ōe Kenzaburō, der Nobelpreisträger für Literatur, ist ein prominenter Vertreter des gegenwärtigen Bedürfnisses nach „Heilung“ (iyashi) von den Schmerzen der Moderne. Ein anderer sehr bekannter Literat, Endō Shūsaku, hat der Nation bereits eine Kurreise verschrieben: nach Indien. In seinem letzten Werk „Wiedergeburt am Ganges“ (1993) thematisiert Endō die Möglichkeit einer Regeneration des modernen Japaners durch die Begegnung mit Indien/Asien.



Rückkehr zur „Asiatischen Spiritualität“


In den 90ern bekennt man sich in Japan auf verschiedenen Argumentationsebenen immer deutlicher zu Asien. Das mag angesichts der Tatsache, daß sich Japan bislang über den Westen definiert hat, erstaunen. Im gegenwärtigen Japan ist, wie in anderen Industriegesellschaften, unter den Vorzeichen Entfremdung und Werteverlust das Bedürfnis nach „Heimat“ gewachsen. Die Reise zu einem geistigen Asien bietet für viele eine Abwechslung zum unerfreulichen Alltagsleben in den Städten. Heute ist daher in Japan eine Rückbesinnung auf die „Asiatische Spiritualität“ zu beobachten. Japanische Sinnsuchende wenden sich wie auch Menschen aus dem Westen der Yoga-Praxis zu, studieren Zen-Buddhismus und chinesische Mantik. Jede Buchhandlung hat mittlerweile eine esoterische Ecke, die mit den gleichen Titeln bestückt ist, die in Amerika und Europa zu finden sind. Der neueste Katalog der bekannten New Age-Buchhandlung Book Club Kai enthält unter anderem die Rubriken „Tibet“, „Indien“ und „Asien“. Der große Zuspruch, den die „Asiatische Spiritualität“ hier erfährt, ist ein Indiz dafür, daß der japanischen Gegenwartsgesellschaft etwas verlorengegangen ist, das nun wiedergefunden werden soll, „erfunden“, könnte man im Sinn der These der „erfundenen Traditionen“ sagen. Heimat wird durch nostalgische Rekonstruktionen ersetzt. Weil man sich von tatsächlich gelebter Religion entfremdet hat, kann eine „Asiatische Spiritualität“ in Japan Fuß fassen, bei der die Frage ist, ob sie nicht eine Importware aus dem Westen darstellt.



Postkoloniales Trauma, holistische Heilsvision oder Missionierungsversuch?


Eine Rückkehr zur „Asiatischen Spiritualität“ gab es in Japan schon innerhalb der Avantgarde-Bewegung der 60er Jahre und in den 70ern, im Zeichen der Alternativkultur. Für den heutigen Trend hat der Religionswissenschaftler Shimazono Susumu (Universität Tōkyō) 1994 die Bezeichnung Shinreisei Undō, „Neue Spirituelle Bewegung“, geprägt. An ihr sind auch viele Personen akademischer Herkunft beteiligt: Religionswissenschaftler, Ethnologen, Künstler, Autoren und Kulturkritiker. Shimazono bezeichnet sie als „spirituelle Intellektuelle“. Mehr oder weniger offen bekennt man sich der Szene zugehörig, viele sympathisieren mit ihr, nicht zuletzt läßt sich das Produkt gut vermarkten, für das Übersinnliche, für die Welt der Geister und für das Jenseits, besteht derzeit große Nachfrage. Komatsu Kazuhiko und Kamata Tōji, Volkskundeforscher, beschwören in zahlreichen Veröffentlichungen den Geist eines okkulten Japan. In den „alten“ Glaubensformen läge der Schlüssel für die Regeneration der müden japanischen Moderne, in der die Entzauberung durch die Aufklärung – die dem Westen zugeschrieben wird – viele Opfer gefordert habe. Für sie und andere gilt es, etwas wie ein postkoloniales Trauma zu überwinden, das „innere Indien“ als Kontinent der Seele von der weißen Kolonisation zu befreien, die archaischen Götter Asiens wieder zuzulassen und eine als verloren deklarierte Ganzheit zurückzuerhalten. In zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen mobilisiert man eine holistische Geistigkeit japanisch-„animistischer“ Prägung, die sich wie eine späte Rache an der christlichen Missionierung ausnimmt, mit ihrer Auslegung von Begriffen und historischen Sachverhalten nicht allzu genau ist, und die tatsächlichen Probleme des Landes außer Acht läßt.



Bestandsaufnahme, Thesen, Fragen


Das Ziel des Workshops ist zunächst die Bestandsaufnahme – und wenn möglich – eine Klärung der Begriffe und Meinungen im Umfeld des Trends. An die Erklärungsansätze für dieses Phänomen der japanischen Gegenwartsgesellschaft, die hier schon vorgeführt wurden, schließen sich noch viele Fragen hinsichtlich der Einordnung der in den Referaten aufgezeigten Haltungen an: In welcher Tradition sehen sich die Vertreter der neuen Spiritualität? Inwieweit sind diese Personen repräsentativ? Nehmen sie Einfluß auf die öffentliche Meinungsbildung? Wie ist die Rückkehr zu einer „Asiatischen Spiritualität“ unter der Vorgabe der clash of civilisations-Theorie und des gegenwärtigen Asiendiskurses zu bewerten? Sehen die „spirituellen Intellektuellen“ ihre Aktivitäten selbstkritisch, bzw. wie stehen sie zu der Tatsache, daß vieles, was sie unter indigen japanischer oder „asiatischer Spiritualität“ führen, zum westlichen New Age-Gedankengut gehört? Und schließlich, kann die „Rückkehr zur Asiatischen Spiritualität“ als Bestandteil des „Museum-Japan“-Projekts gesehen werden, als ein Symptom postmoderner Gesellschaften.

Vorträge


Einführung in das Thema



Überreligion und die Rückbesinnung auf asiatische Spiritualität

Inken Prohl, Universität Tokyo

Welche Inhalte verbergen sich hinter Buchtiteln wie z.B. Das Denken der Wälder rettet die Menschheit (Umehara Takeshi), Tenkawa Mandara – der Chanel zur Überreligion (Kamata Tōji) oder Das Zeitalter des Animismus (Iwata Keiji)? Wer sind die Autoren dieser und weiterer Bücher ähnlicher Art, die seit einiger Zeit den japanischen Buchmarkt überschwemmen? Basierend auf einer kurzen Bestandsaufnahme der Thesen und Schlüsselbegriffe der Autoren, die man der Gruppe der quote;spirituellen Intellektuellenquote; zurechnen kann, möchte ich anhand der religionswissenschaftlichen Erörterung dieser Thesen und Begriffe zeigen, daß es sich dabei um eine neue, religiöse Variante des Nihonjinron (Japaner-Diskurs) handelt. Dazu werden auch einige Kennzeichen der japanischen Religionswissenschaft und ihre Probleme beim Umgang mit Religionsgeschichte zur Sprache kommen.


Außerdem soll erörtert werden, in welchem Zusammenhang diese Literatur zur japanischen Variante des New Age, u.a. auch Neue Spirituelle Bewegung genannt, sowie zu den Neuen Religionen steht.


Auf der Grundlage dieser Überlegungen hoffe ich, demonstrieren zu können, daß es nötig ist, sich auf eine ernsthafte Diskussion mit den Beschwörern der Rückkehr zum Animismus zur Ursprungsreligion oder zu einer neuen Spiritualität einzulassen, zumal man diese nicht nur im Osten, sondern auch im Westen antreffen kann.



Was kommt nach dem Tod? Die aktuelle japanische Auseinandersetzung mit dem Jenseits

Ulrike Wöhr, Universität Hiroshima

Die Flut der Publikationen zum Thema Tod die spätestens seit Anfang der neunziger Jahre die Esoterik-Regale der Buchhandlungen und selbst die Seiten ganz gewöhnlicher Wochenzeitschriften zu überschwemmen begann, ist eine Erscheinungsform des in Japan von der Presse ebenso wie von der Religionswissenschaft seit längerem konstatierten religiösen Booms. Dieses neue Interesse am Tod scheint die landläufige Auffassung, die Japanerinnen und Japaner sowie ihre Religionen seien ausgesprochen diesseits orientiert, Lügen zu strafen.


Im ersten Teil meines Referats werde ich versuchen, einen kurzen Überblick über die Inhalte und Tendenzen der aktuellen japanischen Auseinandersetzung mit Tod und Jenseits zu geben (Stichworte: Lebenshilfe, Bioethik, New Science, Nihon Bunkaron). Anschließend soll der Ausschnitt des Diskurses, der als Kulturtheorie bzw. als Zivilisationskritik gelesen werden kann, näher untersucht werden.


Innerhalb dieses Diskurses lassen sich zwei entgegengesetzte Positionen ausmachen: Im einen, von Umehara Takeshi angeführten, Lager stehen die Japan-Theoretiker, die Todes- und Jenseitsvorstellungen im Rahmen des Japandiskurses, also innerhalb der Dichotomie Ost-West behandeln; die andere, vor allem von Morioka Masahiro verkörperte, Position zielt auf eine universelle, das Wesen des Menschen betreffende Zivilisationskritik. Diese beiden Strömungen lassen sich, wie zu zeigen sein wird, auch als immanent bzw. transzendent apostrophieren. Meine These besagt, daß sich darin zwei entgegengesetzte Tendenzen spiegeln, die derzeit sowohl unter Intellektuellen als auch außerhalb akademischer Kreise, vor allem in den neuen Religionen, zu beobachten sind.



Religion als Ware. Religiöse Bedürfnisse im gegenwärtigen Japan und ihre Vermarktung

Iris Wieczorek, Universität Fukui

Seit Ende der 70er Jahre spricht man in Japan erneut von einem Religionsboom, dem vierten Religionsboom. Zahlreiche religiöse Neugründungen und ein rapider Mitgliederzuwachs einiger religiöser Gemeinschaften lassen sich feststellen.


Den gesellschaftlichen Hintergrund für diese neueste Entwicklung in Japan bildet das zunehmende Interesse an okkulten und religiösen Themen seit Ende der 70er Jahre. Dieses Phänomen, das auch als Wiederbelebung der magisch-religiösen Volkskultur (Shimazono, 1992) bezeichnet wird, wurde schnell kommerzialisiert und findet weite Verbreitung in den Massenmedien.


Wie extrem der Mitgliederzuwachs sein kann, zeigt das Beispiel einer religiösen Vereinigung, die Gegenstand des Referats ist. Sie wurde Ende der 80er Jahre gegründet und konnte schon kurz danach eine beeindruckend große Mitgliederzahl verzeichnen.


In meinem Beitrag gilt es zu erörtern, inwieweit der Erfolg dieser sogenannten neuen Neuen Religionen durch ihre geschickte Ausnutzung der Medien zur Werbung bedingt ist.



Die neuen "Animisten" und "Schamanen" - Identifikationsmodelle aus der Geisterwelt

Lisette Gebhardt


Deutsches Institut für Japanstudien

Animismus und Schamanismus sind Begriffe, die wissenschaftlich nicht unumstritten sind. Mit ihnen argumentieren verschiedene Vertreter des holistischen Denkens in Japan, die meinen, es sei an der Zeit, die bisher dominierende, am Materialismus und Rationalismus orientierte und vom Westen geprägte Wertauffassung abzulösen. Für Japan bedeute dieses Umdenken vor allem eine Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe Asiens, auf die Asiatische Spiritualität.


Nakazawa Shin’ichi, ein Religionswissenschaftler, den man zu den spirituellen Intellektuellen zählen kann, beliefert Zivilisationsmüde und die, die den als westlich empfundenen Fortschrittsglauben ablehnen, mit tibetischer Mystik und indigener Folklore. Die Animismusfraktion mit Umehara Takeshi, Iwata Keiji und Kamata Tōji plädiert für eine neue Wasserwelt in der alle, geeint im Geist des Animismus oder des Schamanismus einer glücklicheren und friedvollen Zukunft entgegensähen. Zweifel ließen sich an soviel Wasserwelts-Seligkeit aber doch anmelden. Nakazawa wirft man vor, Verbindungen zur AUM-Sekte unterhalten zu haben, und einige der spirituellen Intellektuellen verbergen hinter einer esoterischen Botschaft reaktionäre Ideen.


Nicht wenige Literaten, Kritiker und Künstler sympathisieren mit der Bewegung. Um willkürlich Namen zu nennen – Miyata Noboru und Komatsu Kazuhiko, beide Volkskundeforscher, die Literaturwissenschaftler Hirakawa Sukehiro und Saeki Shōichi, die Autoren Ōe Kenzaburō und Nakagami Kenji sowie der Musiker Sakamoto Ryūichi. Ob nun das Heil in der Wasserwelt im Schamanismus, in kosmischen Klangwellen, in der dunklen Seite der Großstadt oder in animistischer Waldidylle gesucht wird, gemeinsam ist allen die Sehnsucht nach einer Anderen Welt (ikai), in der durch Geister eine Geborgenheit vermittelt wird, die in der Wirklichkeit abhanden gekommen scheint. Ikai ist ein utopischer Raum der Erfüllung, in der sich der Mensch mit seiner ganzen Person wiederfinden kann.


Nach einer kurzen Präsentation charakteristischer Aussagen, bzw. Textpassagen, soll versucht werden, den Verbindungen und Verstrickungen in diesem Netzwerk der Nostalgie nachzugehen. Zu diskutieren ist auch, wie die Identifikation mit Schamanen und Animisten bzw. die Entdeckung von vergangenen Zeiten und verschüttetem Wissen innerhalb der intellektuellen Szene der Gegenwart einzuschätzen wäre, die seit den 80er Jahren damit beschäftigt ist, sich ein Museum-Japan einzurichten.


Diskussion (mit vorbereiteten Beiträgen)

Shinshūgyō, Mahikari

Peter Knecht (Nanzan Universität, Ethnologie),


Peter Knecht (Nanzan Universität, Ethnologie)



  • Shinshūgyō, Mahikari

Dr. Martin Repp (NCC Kyōto, Religionswissenschaft)



  • Aum shinrikyō

Prof. Dr. Steffi Richter (Universität Leipzig, Geistesgeschichte)



  • Geistesströmungen der Gegenwart

Noriyuki Sakai B.A. (Universität Waseda, Geistesgeschichte)



  • Geistesströmungen der Gegenwart

Birgit Staemmler M.A. (Universität Trier, Ethnologie)



  • Schamanismus

Katja Caßing-Nakamura M.A. (Universität Trier, Literaturwissenschaft)



  • Okkulte Themen in der Gegenwartsliteratur

Aum shinrikyō

Dr. Martin Repp, NCC Kyōto, Religionswissenschaft

Geistesströmungen der Gegenwart

Prof. Dr. Steffi Richter, Universität Leipzig, Geistesgeschichte

Geistesströmungen der Gegenwart

Noriyuki Sakai B.A., Universität Waseda, Geistesgeschichte

Schamanismus

Birgit Staemmler M.A., Universität Trier, Ethnologie

Okkulte Themen in der Gegenwartsliteratur

Katja Caßing


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